Rihans Geschichte von Gefangenschaft und Mut
Am Internationalen Tag zur Beseitigung von sexueller Gewalt in Konflikten erinnern wir uns daran, dass hinter jeder Statistik eine Geschichte steckt – von einem Leben, das durch konfliktbedingte sexuelle Gewalt (KSG) für immer verändert wurde. Rihans Geschichte, geprägt von Gefangenschaft, Verlust, Überleben und Stärke, ist eine solche Geschichte.
Ihre Erfahrung zeigt nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern auch ein größeres Muster, bei dem sexuelle Gewalt bewusst als Kriegswaffe eingesetzt wird, um Einzelpersonen zu zerstören und Gemeinschaften von innen heraus zu zerschlagen. Ohne echte Verantwortlichkeit wird die Nutzung sexueller Gewalt als Waffe des Krieges weiterbestehen. Die Rettung von Überlebenden wie Rihan ist ein wichtiger Schritt, um dieses Verbrechen zu bekämpfen – und um Gerechtigkeit, Unterstützung und Würde zu ermöglichen, die allen Überlebenden zustehen.
Vor der Dunkelheit
Rihan wuchs im friedlichen Dorf Hardan, nördlich des Sindschar-Gebirges im Nordirak, auf. Die Türen ihrer Familie waren nie verschlossen – nicht, weil sie nichts zu fürchten hatten, sondern weil sie in ihrer Gemeinschaft bekannt und respektiert waren.
Die Nachbarn wandten sich regelmäßig an ihren Vater Ismael, um Probleme zu lösen oder um Rat zu bitten. Rihan und ihre acht Geschwister verbrachten ihre Tage damit, auf den Feldern zu arbeiten und zur Schule zu gehen. Ihre Mutter Eida behandelte alle Menschen in Hardan, als wären sie ihre eigenen Kinder.
Was Rihans Familie an materiellem Reichtum fehlte, wurde durch tiefe Verbundenheit untereinander und mit dem Ort, den sie Heimat nannten, ausgeglichen.
Die Invasion
Im August 2014 änderte sich alles für Rihan, ihre Familie und viele andere in Sindschar.
Rihan war erst vierzehn Jahre alt, als IS-Kämpfer ihr Heimatdorf überfielen, ihre Brüder Noori, Jihad und Maher ermordeten, Rihan, ihre Schwester Nora und ihre Schwägerin Marina entführten und versklavten und das Schicksal ihres Vaters Ismael – der ebenfalls an diesem Tag verschleppt wurde – unbekannt ließen.
Innerhalb eines einzigen Tages verlor Rihan ihr Zuhause, ihre Familie und das Leben, das sie immer gekannt hatte.
Nach Jahren des Leidens: Ein hart erkämpftes Wunder
Während ihrer acht Jahre in Gefangenschaft wurde Rihan vom IS zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei hin- und hergereicht, begleitet von unvorstellbarem körperlichen und seelischen Leid.
Marina, die zum Zeitpunkt der Entführung schwanger war, brachte in der Gefangenschaft eine Tochter zur Welt: Mahera – benannt nach dem Vater, den das Kind niemals kennenlernen sollte.
Dann, im Juni 2023 – fast neun Jahre nach dem grausamen Überfall auf Hardan – geschah das lange erhoffte Wunder: Ein Rettungsteam von Nadia’s Initiative fand Rihan in der Türkei und brachte sie in Sicherheit.
Doch so sehr die Befreiung ein Moment der Erleichterung war, so schmerzhaft war auch das, was folgte:
Sechs Monate nach ihrer Rettung erfuhr Rihan, dass die sterblichen Überreste ihrer Brüder in einem Massengrab entdeckt worden waren.
Einst hatte sie unbeschwert mit ihren Brüdern auf den Straßen von Hardan gespielt – nun weinte sie an ihrem Grab. Nicht nur um sie, sondern um alles, was ihre Familie und so viele andere Jesiden verloren haben.
Zweck statt Verzweiflung
Trotz allem, was sie erlitten hat, weigerte sich Rihan, ihre Geschichte in Verzweiflung enden zu lassen. Heute lebt sie mit ihrer überlebenden Familie in Kanada. Sie trägt die Narben der Vergangenheit – aber auch die Stärke einer jungen Frau, die sich entschieden hat, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben.
Mit nur 25 Jahren war sie Kind, Gefangene, Überlebende – und ist heute eine starke Stimme für Heilung.
Sie geht ihren Weg nicht als Opfer, sondern als junge Frau, die anderen hilft, nach der Dunkelheit wieder Licht zu finden. Rihan ist ein Symbol der Hoffnung – und ihre Geschichte zeigt, dass es auch nach tiefstem Leid möglich ist, sein Leben wieder neu aufzubauen, Würde zurückzugewinnen und Mitgefühl zu empfinden.