Geschichten aus Sinjar: Wardiyas Weg von den Trümmern zur Widerstandsfähigkeit

„Der Besuch im Dorf Wardiya, das als eines der besten Beispiele für eine widerstandsfähige und entschlossene Gemeinschaft gilt, hat mich sehr bewegt. Nach der Befreiung ihres Dorfes kehrte die Gemeinschaft in ihre Heimat zurück und begann mit dem Wiederaufbau. Da keine Hilfe von der Regierung kam, sprang NI ein und unterstützte sie beim Wiederaufbau.“

-Nadia Murad

Südlich des Sindschar-Gebirges befindet sich das kleine Dorf Wardiya mitten in einer bemerkenswerten Erneuerung. Vor fast einem Jahrzehnt erlebte Wardiya, wie viele andere Dörfer in der Region Sindschar, eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte: den brutalen Völkermord durch den sogenannten Islamischen Staat (IS), der im August 2014 begann. Viele Menschen wurden getötet oder gefangen genommen, während der Rest der Bevölkerung mit dem, was sie tragen konnten, aus dem Dorf floh. Der IS zerstörte oder beschädigte daraufhin den größten Teil der grundlegenden Infrastruktur von Wardiya, in der Hoffnung, die Bewohnerinnen und Bewohner daran zu hindern, jemals zurückzukehren.

Doch 2017 wurde der IS besiegt, Sindschar befreit, und trotz der Terroristen, die ihnen so viel genommen hatten, kehrten die Bewohnerinnen und Bewohner von Wardiya in ihr Dorf zurück und nahmen die schwierige Aufgabe des Wiederaufbaus in Angriff.

Alleine konnten sie diese Arbeit jedoch nicht bewältigen. Mit der großzügigen Unterstützung wichtiger Partner aus der internationalen Gemeinschaft schaltete sich Nadia's Initiative ein, um den Wiederaufbau und die Instandsetzung der Infrastruktur zu ermöglichen, die die Bewohnerinen und Bewohner von Wardiya benötigten, um ihre Heimat zurückzugewinnen.

Bildung

Auf Wunsch der Überlebenden des Völkermords durch den IS und in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen baute NI zunächst die Grundschule von Wardiya wieder auf. Bevor die Schule 2019 wiedereröffnet wurde, legten mehr als 430 Schülerinnen und Schüler aus dem Dorf, deren Familien sich den Transport leisten konnten, täglich 30 km hin und zurück zurück, um die Schule in Sindschar-Stadt zu besuchen, während andere überhaupt keine Schulbildung erhielten.

Dank der Unterstützung von NI haben diese 430 Schülerinnen und Schüler und viele andere nun wieder eine Schule in ihrer Nähe, die immer mehr Kinder aus anderen jesidischen Familien anzieht, die sich in der Region niederlassen – sowie dutzende ausgebildete Lehrkräfte, die den lokalen Schülerinnen und Schülern nun die hochwertige Bildung bieten, die sie verdienen.

Gesundheitsversorgung und Lebensgrundlagen

Durch fortlaufende Konsultationen mit den nach Wardiya zurückkehrenden Jesidinnen und Jesiden stellte NI fest, dass ein dringender Bedarf an Gesundheitsversorgung und Stromversorgung bestand. Innerhalb von zwei Jahren nach der Wiedereröffnung der Grundschule von Wardiya hatte NI das primäre Gesundheitszentrum des Dorfes erfolgreich saniert – das auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie schnell damit begann, fast 800 Einwohnerinnen und Einwohnern eine medizinische Grundversorgung und Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen – und arbeitete mit der Elektrizitätsbehörde von Sindschar zusammen, um die Stromversorgung für fast 11.500 Menschen wiederherzustellen.

Die Wiederherstellung der Stromversorgung in Wardiya hat dazu beigetragen, dass die Schulen und Gesundheitszentren in Wardiya weiter betrieben werden können und die Jesidinnen und Jesiden in ganz Sinjar wieder arbeiten können. Dank der von NI bereitgestellten Werkzeuge und Schulungen verfügt die Elektrizitätsbehörde nun über die internen Kapazitäten, um den Netzbetrieb künftig nachhaltig zu verwalten und aufrechtzuerhalten.

Stärkung von Frauen und Mädchen

Obwohl die Maßnahmen von NI in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung und Lebensunterhalt entscheidend dazu beigetragen haben, Wardiya wieder auf die Beine zu bringen, hat kaum ein Projekt so viel für das Dorf geleistet wie der Frauensportkomplex.

Der Komplex wurde von NI auf direkten Wunsch der Überlebenden von Grund auf neu gebaut, 2023 eröffnet und bietet nun einen sicheren Ort, an dem mehr als 1.000 Frauen und junge Menschen aus ganz Sindschar zusammenkommen, um durch Sport Gemeinschaft, Selbstbestimmung und Heilung zu finden.

Eine dieser Überlebenden, Najwa, musste im Alter von nur sechs Jahren aus Sindschar fliehen. Heute sind Najwa und ihre Familie in die Region zurückgekehrt – und dank des Frauensportkomplexes hat Najwa den Mut und das Selbstvertrauen gewonnen, das sie braucht, um sowohl auf dem Sportplatz als auch im Klassenzimmer hervorragende Leistungen zu erbringen.

„Jedes Mal, wenn ich trainierte“, sagte Najwa, „versuchte ich, das Gefühl der Einsamkeit zu vergessen.“ Jetzt ermutigt Najwa andere junge Mädchen in Sinjar, nach Möglichkeiten zu suchen und Herausforderungen zu meistern, und erinnert sie daran, dass auch sie nicht allein sind – und wie sie ihre Träume verwirklichen können.

Perspektiven aus Wardiya

Nadia reiste kürzlich nach Wardiya, wo sie die Gesundheitszentren, Schulen und den Frauensportkomplex besuchte, die nun von den vielen Jesidinnen und Jesiden aufgesucht werden, welche nach so vielen Jahren der Vertreibung in das Dorf zurückgekehrt sind.

Dort traf Nadia den Gemeindevorsteher von Wardiya, der ihr und NI für ihre Hilfe bei der Wiederbelebung des Dorfes dankte: „Sie haben unsere Stimme in die Welt getragen und die Menschen wissen lassen, dass wir gelitten haben“, sagte er. „Sie haben uns Schulen, Krankenhäuser und Strom verschafft. Und Sie haben uns die Kraft und den Mut gegeben, nach Hause zurückzukehren.“

Förderung lokal geführter Entwicklung

Obwohl die Instandsetzung von Gebäuden wichtig ist, besteht die eigentliche Mission von NI in Sindschar – und im Namen der Überlebenden sexualisierter Gewalt in Konflikten weltweit – darin, den Zugang zu Chancen zu verbessern, Hoffnung wiederherzustellen und den Mut und die Widerstandsfähigkeit der lokalen Gemeinschaften zu würdigen.

Das übergeordnete Modell von NI besteht darin, als unterstützende Struktur für lokal geführte Entwicklungsbemühungen in Krisengemeinschaften zu dienen, nicht als Ersatz dafür. In Anerkennung dieses Engagements hat USAID Nadia kürzlich gebeten, in seinem Beratungsausschuss für freiwillige Auslandshilfe mitzuwirken, wo sie sich regelmäßig mit anderen Führungskräften aus dem öffentlichen und privaten Sektor trifft, um bewährte Verfahren auszutauschen und das Engagement von NI für lokal geführte Entwicklungslösungen im Irak und weltweit zu bekräftigen.

Ann-Kathrin Ebinger